Über Herausforderungen an den Lehrberuf, guten Unterricht und neue Wege für den Schulalltag
Immer wieder hört man von „Horrorklassen“ im Schulleben: chaotische Umstände, freche Schüler, möglicherweise Drohungen und sogar Gewalt. Dabei wird oft die Herkunft der Schüler als Problemgrund genannt. Mehr Schüler mit Zuwanderungsgeschichte bedeutet für viele Menschen eine stärkere Einschränkung für den Unterricht. Dabei ist durch viele Studien sicher belegt, dass nicht die Herkunft der Schüler, sondern eher die Lehrer-Schüler-Beziehungen den größten Effekt auf den Unterricht haben. Forscher kommen immer wieder zum selben Schluss: „The relationship between teacher and students is the decisive criterion for good teaching […]“ (Glatz) Auch andere Autoren wie Helmke (2009) oder Hattie (2011) belegen durch empirische Untersuchungen, dass „der gute Unterricht“ entscheidend vom Klassenklima und den interpersonalen Beziehungen abhängt.
Bei meiner Vereidigung zum Beamten auf Widerruf trug unser Seminarleiter folgendes Zitat vor, welches die Herausforderungen an den Lehrer sehr prägnant beschrieb:
„Wahrscheinlich gibt es nicht viele Berufe, an die die Gesellschaft so widersprüchliche Anforderungen stellt: Gerecht soll er sein, der Lehrer, und zugleich menschlich und nachsichtig, straff soll er führen, doch taktvoll auf jedes Kind eingehen, Begabungen wecken, pädagogische Defizite ausgleichen, Suchtprophylaxe und Aids-Aufklärung betreiben, auf jeden Fall den Lehrplan einhalten, wobei hochbegabte Schüler gleichermaßen zu berücksichtigen sind wie begriffsstutzige.
Mit einem Wort: Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.“ (Müller-Limmroth 1988)
In der Tat werden eben diese widersprüchlichen Anforderungen immer größer. Besonders im Ruhrgebiet erleben wir seit Jahrzenten eine zunehmende Diversität: ethnisch, sozial, religiös, kulturell, wirtschaftlich, … Mit seinen urbanen und subkulturellen Lebenswelten stellt der Pott einen einzigartigen Ballungsraum in Deutschland dar. Lehrer sehen sich also im Ruhrgebiet mit anderen Bedingungen konfrontiert als beispielsweise im katholisch-bürgerlichen Paderborn. Allein die Tatsache, dass heute ein Drittel der deutschen Bevölkerung unter fünf Jahren eine Zuwanderungsgeschichte aufweist (Statistisches Bundesamt 2013, S. 33), und dass dieser Anteil in Städten und Ballungsräumen teilweise erheblich höher ist, zeigt auf, dass wir Lehrer des Ruhrgebiets besonders gefordert werden. Unterschiedlichste Menschen und Familien schicken ihrer Kinder in dieselben Schulen und Klassen. Lehrer müssen die Dispositionen dieser Schülerinnen und Schüler kennen, damit sie Bezüge herstellen, auf Bedürfnisse eingehen und Werte und Normen austauschen können. Kurz gesagt muss ein Lehrer die Lebenswelten seiner Schüler kennen, damit er überhaupt seinen Erziehungsauftrag ausführen kann. Wie aber kann der Lehrer auf unterschiedliche Herkünfte, Ethnien, Kulturen und Welten eingehen, wenn er diese nicht kennt? Wie kann ein Lehrer seine Schüler außerhalb des Unterrichts besser kennenlernen und das Lehrer-Schüler-Verhältnis verbessern? Meine Antwort zu dieser Frage steckt schon im Untertitel dieser Schrift: Hausbesuche können das Lehrer-Schüler-Verhältnis verbessern und Einblicke in die Lebenswelten von Schülerinnen und Schülern bieten.
In meinem Artikel möchte ich unterschiedliche Themen aus der Bildungsforschung vorstellen und dabei auch mein eigenes Dissertationsvorhaben in seinen Grundzügen erläutern. Mein Forschungstitel lautet wie folgt: Hausbesuche im schulischen Kontext. Kann man das Klassenklima und das Lehrer-Schüler-Verhältnis durch Hausbesuche verbessern? Zwar habe ich mich oben auf die Vielfältigkeit des Ruhrgebiets und auf die Bedeutung von Zuwanderungsgeschichten bezogen, jedoch stellt dieser Punkt nur einen von vielen Gründen für Hausbesuche dar. Zunächst sollten unterschiedliche Traditionen, Wertevorstellungen und Kulturen als soziales Kapital und wertvolle Diversität wahrgenommen werden (Uslucan 2011, S. 9f.). Bewusst möchte ich mich aber aus der schon ausgelauchten Integrationsdebatte heraushalten. Bei meiner Untersuchung soll es eher um pädagogisch-psychologische Forschungsfragen gehen: Wie definiert sich ein gutes Klassenklima? Warum ist eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung unerlässlich? Welche Möglichkeiten stehen dem Lehrer zur Verfügung, um eine gute Beziehung zu seinen Schülern aufzubauen? Was genau sind Hausbesuche und wozu dienen sie? …
Für viele mag der persönliche Besuch eines Lehrers unbekannt sein. Höchstens treffen die meisten Eltern die Lehrpersonen bei Sprechtagen in der Schule. Das ist schade, weil somit viele Potenziale ungenutzt bleiben. Einerseits können Hausbesuche die Kontakte verbessern, wodurch eine Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus erleichtert wird. Andererseits kann der Hausbesuch die Lehrer-Schüler-Beziehungen und das Klassenklima positiv beeinflussen. Die Herausforderungen an den Lehrer sind teilweise sehr widersprüchlich: gerecht soll er sein, nachsichtig, einfühlend, straff und taktvoll. Hausbesuche stellen daher eine Hilfe und ein wichtiges Instrument dar, womit man als Lehrer seine unterschiedlichen Aufgaben und Aufträge besser erfüllen kann.
In dieser einführenden Schrift wollte ich auf folgende drei Hauptpunkte aufmerksam machen: (1) Lehrer des Ruhrgebiets und anderer Ballungsräume haben eine große Verantwortung und die schwere Aufgabe, junge Menschen mit unterschiedlichsten Lebens- und Lernbedingungen in einer Klasse zu erziehen und zu unterrichten. (2) Es gibt diverse Möglichkeiten, die einem Lehrer bei der Erfüllung seines Erziehungsauftrages helfen können. (3) Der Hausbesuch ist ein weitgehend unbekanntes, unerforschtes, aber vielversprechendes Instrument, dass Lehrer einsetzen dürfen und sollten, damit sie die Lebenswelten ihrer Schüler kennenlernen und das Lehrer-Schüler-Verhältnis verbessern können.
Der vorliegende Blogeintrag sollte eine kurze Einführung darstellen und interessierte Leser auf das Thema der Hausbesuche aufmerksam machen. In regelmäßigen Veröffentlichungen möchte ich fortan über mein Forschungsprojekt informieren. In meiner nächsten Schrift dürfen Sie, verehrte Leserinnen und Leser, einen Einblick in die Begründung und Legitimation von Hausbesuchen erwarten: Welche Erfahrungen habe ich bislang mit Hausbesuchen im schulischen Kontext gemacht? Wie kommt man auf die Idee, Hausbesuche durchzuführen? Welche Autoren und Wissenschaftler empfehlen den Hausbesuch als Teil der Erziehungsarbeit? Welche Bedeutung hat das Elternhaus für die schulische Erziehung? Und schließlich, wie sind Schulministerien und Schulen gegenüber Hausbesuchen eingestellt?
Anmerkung: Meine Blogeinträge erfüllen möglicherweise nicht die wissenschaftlichen Standards, sind nicht ausschließlich objektiv und dienen lediglich dazu, meine Erfahrungen, Gedanken, Pläne, Teilergebnisse und Forschungsmethoden rund um mein Promotionsthema und das Promotionsverfahren der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Literaturhinweise:
- Glatz, Peter: The teacher-student relationship as a crucial criterion for good teaching. URL: http://www.fachzeitungen.de/pressemeldungen/en/die-lehrer-schuler-beziehung-als-das-entscheidende-kriterium-fur-guten-unterricht-102122/ (10.05.2014).
- Statistisches Bundesamt (2013): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2012. URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/MigrationIntegration/Migrationshintergrund.html (15.01.2014).
- Uslucan, Hacı-Halil (2011): Dabei und doch nicht mittendrin. Die Integration türkeistämmiger Zuwanderer. Berlin: Wagenbach.
- Helmke, Andreas (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Fulda: Kallmeyer-Klett.
- Hattie, John (2013): Lernen sichtbar machen. Visible learning. Überarb. dt.-sprachige Ausg. von “Visible learning”. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren.
- Müller-Limmroth, Wolf (1988): Artikel vom 02.06.1988 in der „Züricher Weltwoche“.