Der Name Hüdaverdi Güngör ist nicht unbekannt im Ruhrgebiet, vor allem aber in Bottrop, wo er lebt. Sein Vater hat ihn damals zur Arbeit bei Dreharbeiten für diverse Sender mitgenommen. Er hat die eine oder die andere Rolle gespielt und sei es nur als Statist.
Aus diesem Grund wollte ich den Artikel mit so etwas beginnen wie: “Stars und Sternchen findet man nicht nur in den Großstädten, auch im Ruhrpott gibt es kleine Berühmtheiten”. Als das Gespräch dann aber begonnen hat, sagte Hüdaverdi ganz klar, dass er sich davon mittlerweile distanziert hat.
“Ich will was Nachhaltiges machen. Ich will nicht dieses typische Schauspielerimage”, sagt er. Es stört ihn mittlerweile, dass man ihn auf die Schauspielerei anspricht. Er will die durch die Medienauftritte gewonnene Aufmerksamkeit für etwas Besseres nutzen. Schnell sind wir weg von der Schauspielerei und ich spreche das nächste Thema an: Integration. Hüdaverdi empfand es als Beleidigung, als er von Parteien angesprochen wurde, die ihn zum Beitritt in den Integrationsrat motivieren wollten. “Das war mir zu blöd. Ich wollte das Problem an der Wurzel bekämpfen, nicht an der Haarspitze.” Die fehlende Beschlussfähigkeit stört ihn. “Warum sollst du nicht die Probleme der ganzen Stadt angehen, sondern nur die, die du aufgrund deiner Herkunft hast? Das wäre doch keine Integration.” Hüdaverdi und seine Freunde haben sehr kurz vor den Kommunalwahlen die Partei “Die Verfassungsschüler” gegründet und konnten aufgrund der knappen Zeit nur in 13 von 27 Wahlbezirken antreten. Die Wahlkampagne über Facebook war in Verbindung mit der Medienaufmerksamkeit dennoch sehr erfolgreich. Namen wie 1Live und WDR5 waren auf sie aufmerksam geworden.
Hüdaverdi erwähnt die letzten Zechen, die 2017 geschlossen werden sollen und die dadurch wegfallenden Arbeitsplätze. Die Wirtschaft in Bottrop solle mehr angekurbelt werden, damit z.B. die Kaufkraft nicht in die Nachbarstädte ausweiche. Ein einfacher Weg wäre die Senkung der Gewerbesteuer in Bottrop; das haben sie als Verfassungsschüler auch gefordert.
Die Verfassungsschüler ist die zweite Partei, die es in dieser Form in Deutschland gibt. In Monheim arbeiten ihre Vorreiter. Jedoch kannten die Verfassungsschüler die “PETO”, so nennt sich die Partei in Monheim, nicht, bis sie vom WDR darauf angesprochen wurden. Die PETO hat damals auch als Schülerpartei begonnen und mittlerweile sind Parteien wie CDU, SPD und die Grünen zu Randgruppen in Monheim geworden; PETO hat 65% der Stimmen des Ortes für sich gewonnen und ist schuldenfrei.
Den Einzug in den Bottroper Stadtrat haben die Verfassungsschüler in diesem Jahr nicht geschafft, jedoch ist Hüdaverdi optimistisch: “Wir haben unser Ziel zwar nur knapp verfehlt, aber 2017 sind Landtagswahlen. Da haben wir ja noch eine Tür offen”, sagt er lachend.
Auf die Frage, wie er seine Zukunft sieht, sagt er, dass er sich von allem erst einmal distanzieren will. Er hat sein Projekt “Geh’ deinen Weg” Anfang 2013 ins Leben gerufen und ist seitdem regelmäßig in Veranstaltungen mit mehreren hundert Leuten eingebunden. “Mit 16 hatte ich die Idee im Kopf. Mit 17 konnte ich sie umsetzen. 300 Leute, die an einem Freitagabend sich freiwillig in der Schulaula versammelt haben. Das waren 300 Jugendliche, die normalerweise lieber feiern gehen würden. Sie sind aber zur Aula gekommen.”
Bei der zweiten Veranstaltung wurde dann der Film von Mirza Odabasi 93/13 gezeigt. Das ist ein Film, der den Brandanschlag von Solingen aufgreift. “Der Film hat ja keine Vorwürfe gemacht, der Film hat ja nicht gesagt: ‘Das sind Scheißdeutsche.’ Dieser Film war an Jugendliche gerichtet, die noch etwas bewirken können und hat aktuelle Themen behandelt.”
In unserem Interview kommen wir weiterhin auf das Ruhrgebiet zu sprechen. “In einer Zeit, in der es im Ruhrgebiet den Bach runtergeht, sollte man jedes noch so kleine Potenzial nutzen. Sei es mit Engagement in den Medien, Politik oder Vereinen. Es wird keine Maximilians regnen.” Mit dem letzten Satz zitiert er Suat Yilmaz, einen Talentscout aus dem Ruhrgebiet.
Auf die Frage, wie es denn zu dem Projekt “Geh’ deinen Weg” gekommen ist, sagt Hüdaverdi, dass ihn dieser Spruch damals von der Deutschlandstiftung Integration gut gefallen hat und er damit arbeiten wollte. Nach etwas Schriftverkehr hatte es wohl auch geklappt. “Mittlerweile haben sich unsere Wege getrennt,” sagt er, “weil ich der Ansicht war und bin, dass dort zu viele Menschen sitzen, die das Thema Integration aus Motivation des Geldes behandeln.” Hüdaverdi wurde zu einem Stipendium motiviert, was er nicht sofort angenommen hatte. Erst auf den letzten Drücker, als man ihm im Urlaub deswegen noch belästigte, hat er seine Bewerbung abgegeben. Nach langem Hin und Her wurde sein Antrag dennoch abgelehnt. “Und das, obwohl damals vor 300 Leuten gesagt wurde, dass allein das Engagement der Menschen genug wäre.” Er wurde mehrmals befragt, welcher Partei er denn angehören würde und was er an der deutschen Politik denn kritisiere. Man wollte ihn in eine politische Ecke drängen. “Schubladendenken”, denkt man sich da. “Ich wurde als 17jähriger gefragt, welcher Partei ich angehöre,” sagt er entsetzt. “Ich mache keine Politik, sondern ich mache etwas Künstlerisches auf der Bühne”, habe er geantwortet. “Dann wurde mein Stipendiumsantrag abgelehnt und ich war einfach sehr enttäuscht.”
Wir wechseln von Thema zu Thema. Hüdaverdi ist 18. Man hat das Gefühl, als würde man sich mit einem Studenten aus der Sozialwissenschaft unterhalten, da Hüdaverdis Gedanken gesellschaftlich aktuell und analytisch sind. Schon mit 16 hatte er den Gedanken ausgesprochen, dass Jugendlichen aus der 3. Migrantengeneration eine sehr wichtige Aufgabe bevorsteht: Sie sollen eine Brücke zwischen der Kultur der Eltern aus z.B. der Türkei zu der aktuellen Gesellschaft hier in Deutschland schlagen. Sie sind die einzige Generation, die die Kultur der Eltern und die Kultur der Deutschen verstehen und zwischen ihnen vermitteln können.
Hüdaverdi will nicht, dass später seine Kinder dieselben Probleme haben wie er. Er denkt nicht, dass man an seine Kinder gedacht hat, wenn man am Ende seines Lebens nur materielles Gut hinterlässt. Er denkt, dass man sich in der Gesellschaft engagiert haben muss, um ein gutes Erbe hinterlassen zu können. Ich bin begeistert von diesem Gedanken.
Er spricht von einer typischen Pubertätsphase von türkischstämmigen Jugendlichen, in der sie oft davon träumen, in die Türkei zu ziehen. Um sie auf den Teppich der Realität zurückzuholen, erzählt Hüdaverdi von einem türkischstämmigen Schauspieler, der von einem Schauspieler aus der Türkei angerufen wurde, um in einer Serie mitzuspielen. Als der junge Mann mit diesem Gedanken in die Türkei reist, um dort ein neues Leben aufzubauen, merkt er sehr schnell, dass der Schein auch ihn getrogen hat. Der Schauspieler, der ihn in die Türkei eingeladen hatte, meldet sich nicht mehr. Voller Enttäuschung kehrt er zurück nach Deutschland. Die Versprechen wurden nicht eingehalten. So ist das Leben.
Er diskutiert sehr oft mit Freunden, weil ihm der Vorwurf gemacht wird, dass er assimiliert sei, da er sich so viel in der deutschen Gesellschaft einsetzt. Dieser Behauptung widerspricht er und sagt, dass er keinen Einfluss auf das Geschehen in der Türkei nehmen kann, sehr wohl aber auf die Geschehnisse um ihn herum.
“Wir müssen das Positive aus beiden Kulturen nehmen”, sagt er. Das wäre doch mal ein Mehrwert.
Er regt sich über Menschen wie Akif Pirincci, Sarrazin und Necla Kelek auf. “Das ist eine Hasswelle, die zur Zeit über die Menschen geht.” Er versteht es nicht, wieso Migranten für oder gegen Erdogan auf die Straße gehen und bei dem NSU-Skandal still sind. Er denkt, dass vor allem diejenigen aus der Mehrheitsgesellschaft rechtsradikale Parteien wählen, die sagen: “Du bist nicht so wie die anderen Türken/Italiener/Griechen etc. Du bist anders.” Sofort kommt mir die Antwort dazu in den Sinn:
“Es gibt doch ‘die anderen Türken etc.’ nicht. Die sind alle so wie ich. Du hast sie nur noch nicht kennengelernt.” Es ist schon nach 17.30 Uhr und Hüdaverdi muss gehen. Als wir aufstehen bin ich glücklich, mit ihm gesprochen zu haben. Der junge Mann hat mich mit seinen Gedanken und seiner Einstellung stark beeindruckt.
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