Lesen ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Der französische Schriftsteller Gustave Flaubert hat mit seinem Satz „Lies, um zu leben“ die Wichtigkeit des Lesens zum Ausdruck gebracht. Die Bedeutung ist für die Allgemeinheit gültig und verdient besondere Achtung. Denn allein im Jahre 2000 gab es in der Bundesrepublik laut Aussage des „Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung“ ungefähr vier Millionen funktionale Analphabeten, d.h. erwachsene Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben konnten.
Wer nicht richtig lesen und schreiben kann, hat nur geringe Chancen auf einen festen Arbeitsplatz und dies ist vielleicht noch nicht einmal der wichtigste Nachteil im Leben eines funktionalen Analphabeten. Die schwache Lesekompetenz der Schüler in Deutschland, insbesondere der mit Migrationshintergrund ist u.a. mit Befunden der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU; im internationalen Sprachgebrauch „Progress in International Reading Literacy Study“, abgekürzt PIRLS) oder der PISA-Studien (Programme for International Student Assessment) belegt. Bereits gegen Ende der Grundschulzeit sind große Defizite bei den Schülern festzustellen. Dadurch sind Folgen wie fehlender Schulabschluss bzw. beruflicher Abschluss unvermeidbar. Man spricht von 40%, bei Einwanderern aus bestimmten Herkunftsländern sogar von 60%, die keinen beruflichen Abschluss vorweisen können.
Mein Definitionsvorschlag „Sozialisation/Lesesozialisation“
Auf der Suche nach einer Definition für die Begrifflichkeit der Lesesozialisation bin ich auf verschiedene Definitionsvorschläge gestoßen. Da es relativ schwierig ist, eine allgemeingültige Definition zu finden und diese zu bewerten, kann man hier lediglich von einem Definitionsversuch oder Definitionsvorschlag sprechen. Wenn man die Lesesozialisation als eine Ableitung vom Sozialisationsbegriff anerkennt, dann müsste zunächst der Sozialisationsbegriff kurz dargestellt werden. Hierbei handelt es sich im Allgemeinen um einen lebenslangen Prozess, der durch die Entstehung von individuellen Verhaltensmustern, Werten und Maßstäben einer bestimmten Gesellschaft geprägt wird.
Zum Begriff der Lesesozialisation stößt man in der Fachliteratur auf unterschiedliche Definitionen. Letztendlich kann man sagen, dass mit Lesesozialisation die Literatur und deren Gebrauch innerhalb einer Gesellschaft gemeint ist bzw. die Aneignung und Vermittlung von allmöglichen Texten (hierzu zählen auch elektronische Medien, da die Nutzung ursprünglicher Medien wie Bücher, Zeitungen und Zeitschriften stark zurückgegangen ist). Hieraus kann man den Begriff der Lesesozialisation ableiten und ihn als ein Teilbereich der Sozialisation betrachten.
Einflussfaktoren der Leseentwicklung
Für die Leseentwicklung eines Kindes gibt es verschiedene Einflussfaktoren. Diese können sowohl von familiären Bedingungen als auch von freundschaftlichen bzw. schulischen Verhältnissen abhängig sein. Sogar elektronische Medien wie Fernsehen oder Internet sind heutzutage wichtige Faktoren für die Entwicklung von Lesekompetenz. Die Mehrfachausstattung von Fernsehgeräten sowie die Internetverfügbarkeit in der ganzen Wohnung sind beispielsweise typische Killer von Büchern und Printmedien
Familiäre/Soziale Faktoren
Bei der Entwicklung der Lesebegabung sind familiäre Faktoren von großer Bedeutung. Darauf ist auch die schwache Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zurückzuführen. Gerade die Nicht-Muttersprachler sind von diesem Aspekt betroffen, zumal sie aufgrund unterschiedlicher Kulturen stärker an das Elternhaus gebunden sein können und somit der deutsche Redeanteil eher gering ausfällt. Hier ist auch von der Schicht- bzw. Milieuabhängigkeit die Rede. Familiäre Einflussfaktoren sind unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten. Man kann diesen Punkt als Leseförderung bzw. Leseerziehung durch die Familie sehen oder sozial-familiäre Verhältnisse in Erwägung ziehen (z.B. der Besitz oder Anschaffung von Büchern) und diese als allgemeine Kommunikationsbedingungen innerhalb der Familie bewerten. Selbst der Umgang mit Medien im Elternhaus könnte hier von Bedeutung sein.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es in der Fachliteratur Übereinstimmungen darüber gibt, dass die Familie als informelle Sozialisationsinstanz nachweislich die früheste und wirkungsvollste Instanz für die Ausbildung der frühkindlichen Literarität darstellt. Das Literaturangebot ist ein anderer, wichtiger Punkt, was die Motivation des Lesens angeht. Jedoch belegen Untersuchungen, dass die Ausstattung mit Büchern innerhalb einer Familie deutlich vom sozialen Status abhängig ist.
Bei der Ausstattung mit elektronischen Medien sieht es etwas anders aus, hier ist die Rede davon, dass Familien höherer Schichten und höherer Bildung ihre Kinder eher sparsamer ausstatten, um die Büchernutzung zu fördern. Die Schichtabhängigkeit bei der Literaturnutzung wird auch von jüngeren empirischen Studien bestätigt. Deshalb sind Lesehemmungen zum Teil vom Bildungsniveau der Eltern abhängig, „so begründen Kinder der unteren Bildungsschicht ihre Bevorzugung des Fernsehens damit, dass sie nicht so gut lesen können. Auf die Frage, warum sie nicht gerne lesen, geben Kinder weniger gebildeter Eltern oft den Grund an, keine interessanten Bücher zu kennen.