Analog fotografieren: Wie ich das Unvollkommene schätzen lernte

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Die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts und Perfektion. Es gibt einen Grund, warum ich diese beiden Wörter nebeneinander verwende. In der heutigen Welt haben die Menschen augenscheinlich nicht das Recht darauf, unvollkommen zu sein. Sogar natürliche Unterschiede, die eigentlich die einzigartige Struktur des Körpers bilden, werden als negativ angesehen. Die meisten Menschen streben nach dem Besten und Perfektesten. Alles soll perfekt sein, symmetrisch sein und sich dem Idealen anpassen. Jeder ist immer auf der Suche nach dem „Besten“.

Es geht nicht nur ums Aussehen; es zeigt sich auch in unserer Arbeit, unseren Hobbys und unserer Kunst. „Die Tatsache, dass du Fehler machst, ist ein Hinweis darauf, dass du dich noch verbessern kannst, und das ist etwas sehr Wertvolles”, sagte mein Schlagzeuglehrer an dem Punkt, an dem ich mich über Fehler in meinem Schlagzeugspiel sehr geärgert habe. „Wichtig ist nicht, fehlerlos und perfekt zu sein, sondern wie wir mit unseren Fehlern umgehen.“ Das ist so wahr… Egal, wie perfektionistisch ich bin, perfekt zu sein schränkt mich ein, lässt mich zurücktreten… Und an meiner Stelle zu stehen, mich nicht weiter zu verbessern, würde mich zu einer unglücklichen Person machen. Fehler sind wichtig, aber wie wir damit umgehen, ist wichtiger. Eine andere Sache, die mir das beigebracht hat, war die analoge Fotografie.

Indem ich dich, liebe/r Leser/in, in meine analoge Reise einbeziehe, möchte ich dir zeigen, wie ich gelernt habe, wie wichtig Geduld, Wertschätzung und Beobachtung im Umgang mit Unvollkommenheiten sind. Wenn wir Google nach der Definition von analoger Fotografie fragen, werden wir höchstwahrscheinlich auf eine kurze Definition stoßen wie: „Fotografie, die mit einer analogen Kamera und einem Film gemacht wird“. Ohne auf technische und chemische Details einzugehen, möchte ich direkt zu meiner persönlichen Definition der analogen Fotografie kommen:

Stell dir vor, du stehst vor einem Anblick, das du aufnehmen möchtest… und beobachtest dieses Motiv eine Weile. Es kann ein Freund sein, an dem du die Reflexionen der Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht verewigen möchten, es können die Blätter sein, die im warmen Wind, der mit dem Herbst kommt, zu Boden fallen, oder es kann die schöne Architektur eines Gebäudes sein, an dem du jeden Tag vorbeigehst. All diese Momente sind magisch und bewahren die Emotionen, die im Hier und Jetzt vorhanden sind, in sich. Um solche magischen Momente entweder für uns selbst zu behalten oder sie mit unseren Liebsten zu teilen, tun die meisten von uns stets eine Sache: sie fotografieren. Was ist also die Besonderheit der analogen Fotografie?

Gehen wir zurück zu diesem Moment: Dein Freund, die Blätter oder das Gebäude, das vor dir steht. Du zückst deine Kamera mit einem Film mit 36 Aufnahmen und wartest auf den besten Moment. Vielleicht spiegelt sich die Sonne nicht mehr im Gesicht deines Freundes, weil die Wolke vor der Sonne vorbeigezogen ist, die Blätter fallen nicht vom Baum, weil der Wind aufgehört hat zu wehen oder die Sicht zum Gebäude ist versperrt, weil Menschen vor dir herlaufen. Du wartest also… Weil du nicht die Möglichkeit hast, 5-6 Fotos hintereinander zu schießen und das Beste auszuwählen. Schließlich drückst du auf den Auslöser und nimmst das Foto auf. Du versteckst es in deiner Kamera: all die Schönheit dort, mit deinen Emotionen. „War es gut?” denkst du dir vielleicht, aber du kannst nicht hineinschauen, bevor du die 36 Posen in deiner Hand aufgebraucht hast. Du erlebst 35 weitere Momente wie diesen, und schließlich gibst du deinen Film einem Fotoladen, um ihn entwickeln zu lassen … und du beginnst darauf zu warten, dass der Film diesen Prozess durchläuft und du ihn in Form von Fotos erhältst. Dieser gesamte Vorgang dauert ungefähr 3 Wochen.

Mit einem Film ist nicht nur das Gefühl beim Fotografieren anders, auch das Gefühl der Fotos selbst ist anders. Es ist tiefgründig und nostalgisch. Entfernte Erinnerungen, die gesammelt werden, erscheinen direkt vor dir und du befindest dich wieder in diesem Moment. Es gibt keine Menge digitaler Manipulationen oder Filter, die das Gefühl wiederherstellen können, dass der Film deinen Fotos verleiht. Die Art und Weise, wie die Fotos aufgenommen werden, löst Emotionen aus und hilft dem Betrachter, in die Welt der reflektierten Motive und Emotionen einzutauchen. Die resultierenden Fotografien enthalten Unvollkommenheiten und sind vielleicht nicht perfekt, aber dies sind eigentlich normale Einzigartigkeiten, die als Unvollkommenheiten bezeichnet werden und die Individualität des Moments und des Fotografen widerspiegeln.

Dieser lange Prozess in der analogen Fotografie hat mich gelehrt, meine Wahrnehmung von Schönheit zu reflektieren, geduldig zu sein und jeden Moment mit einem anderen Wert anzugehen. Es hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich Zeit zu nehmen und auf eine Sache zu konzentrieren, ohne zu versuchen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, im großen Gegensatz zur Gesellschaft dieses Jahrhunderts. Die Wahrnehmung von Schönheit ist bei jedem anders und gerade deshalb muss keiner von uns und keine unserer Handlungen perfekt, symmetrisch oder ideal sein. Die Achtsamkeit macht die Dinge wichtig. Um mit uns selbst glücklich zu sein und um mit dem, was wir tun, zufrieden zu sein, ist es sehr wichtig, wem oder was wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Mit diesen kleinen Schritten ist es möglich, sowohl unsere eigene Welt als auch die Welt, in der wir leben, zu verschönern.

Der Weg, sich in ein Schaufenster zu verwandeln, in dem wir unsere Schönheiten, unsere Liebe präsentieren und bereit sind, verschiedene Schönheiten aufzunehmen, indem wir die Schubladen aufbrechen, und niemanden in die Stereotypen der Perfektion zu versetzen, beginnt in uns selbst.

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